Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 29. Juni 2017; Leitartikel von Florian Madl: „Die Welt lauert, Russland mauert“

Innsbruck (OTS) – Schon wieder geht es um Doping, schon wieder um Korruption. Russlands Reputation in der Welt des Sports ist längst dahin, und was jetzt passiert, ist nichts als ein Schauprozess. Eine seriöse Aufarbeitung sieht jedenfalls anders aus. Die Untersuchungsberichte zweier Juristen wirbeln augenblicklich die Sportwelt durcheinander: Michael Garcia (USA) und Richard McLaren (CDN) sorgen in ihren Abhandlungen zu Korruption und Doping für internationales Schuldzuweisen und eifriges Sich-Abputzen. Jeweils im Mittelpunkt: Russland, Veranstalter der Fußball-WM 2018 und mittlerweile Synonym für unerlaubte Leistungssteigerung. Russland wiegelt jegliche Argumente mit dem Vorwurf der tendenziösen Bewertung ab, vermutet politische Motive und hat damit bisweilen sogar Recht. Doch der Garcia-Bericht, in dem es um Unregelmäßigkeiten bei der WM-Vergabe an Russland 2018 und Katar 2020 geht, stellt weniger die beiden Gastgeber in Frage. Das Fehlen konkreter Vergehen entlastet die beiden Länder eher, die Vorgänge rund um die Wahl stellen vielmehr dem internationalen Gremium der Wahlmänner ein vernichtendes Zeugnis aus. Das, was vielerorts als Compliance firmiert, existiert in deren Welt scheinbar nicht. Wenn Spesen für besagte Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees und deren Familien übernommen werden, widersprach das offenbar nicht dem Ethikcode des Weltfußballverbands. Annehmlichkeiten wie Kreml- und Ballettbesuche anzubieten, ist das eine. Sie anzunehmen ist seitens der Entscheidungsträger nicht weniger fragwürdig. Russland einen WM-Kauf anzulasten, schlägt fehl. Es gilt ein System zu hinterfragen, das Usancen wie diese für nicht ungewöhnlich erachtet. Nicht anders verhält es sich mit Katar, wo die Situation ausländischer Leiharbeiter unter jeder Menschenwürde ist. Da können die Herren der FIFA noch so viel Respekt predigen und im Antirassismus-Kampf Ronaldo und Messi vor den Karren spannen. Wenn’s politisch wird und Petrodollar im Spiel sind, schaut die FIFA weg. Doch Russland macht es sich zu einfach, im internationalen „Bashing“ trotzig zu reagieren. Denn dem Land wird zudem ein Doping-Skandal von noch ungeahntem Ausmaß angelastet. WADA-Ermittler Richard McLaren geht von einem Vertuschungssystem aus, das mittlerweile auch den Fußball des WM-Gastgebers 2018 erreicht. Wenn das wirklich nur „die Spitze des Eisbergs“ darstellt, wie der Jurist meint, dann kann der Olympia-Ausschluss russischer Leichtathleten (2016) nur der Anfang gewesen sein. Ein Donnergrollen ist zu vernehmen. Und man fragt sich, ob ein Gewitter nicht sogar reinigenden Charakter hätte.

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